Aus: Opernwelt, Juni 2011

KIEL / Kirchner: Savonarola

Welthistorie, kurz gefasst

Ein bemerkenswerter, ein großer Stoff von weltgeschichtlicher Relevanz und eine bemerkenswert konzise Umsetzung. Wo andere wie etwa Thomas Mann in seinem «Fiorenza»-Drama mit breitem Pinsel den Kontrast ausmalen zwischen lebensbejahender Renaissance und dem asketischen, von religiösem Fanatismus geprägten Mönchstum Savonarola, schafft Volker David Kirchner es tatsächlich, die Problematik der Epoche in einer knappen Musiktheaterstunde exakt zu umreißen. Der auch früher schon zu beobachtende Hang des Komponisten zum Aphoristischen findet in diesem Alterswerk, das er Im Untertitel ein «Szenisches Purgatorium» nennt, seine vielleicht präziseste Realisierung: in mosaikartig zusammengesetzten Kurzszenen, getragen teils von rhythmischem Sprechen, teils von sanglichen Passagen, grundiert durch ein variabel abgetöntes Orchester sowie einen vielfältig Chor, Dabei entstehen Klänge von höchst suggestiver Wirkung, eigenwillig in Ihrer stilistischen Prägung. Avantgardistisches mischt sich mit Traditionellem, ohne dass der Komponist der Gefahr des Eklektizismus oder sich in reinem Schönklang verliert. "Für mich ist die Tradition ein Kapital; vierhundert Jahre Musik, die verwertbar ist, aber noch längst nicht ausgeschöpft wurde», hat Kirchner 1977 in einem Interview erklärt, und diese Aussage gilt unverändert auch für "Savonarola».

Der kompositorischen Prägnanz des Werkes setzt Andrej Woron als Regisseur sowie als Bühnen-und Kostümbildner die pralle Fülle einer Ausstattung entgegen, deren bildnerischer Fantasie offenbar keine Grenzen gesetzt sind. Da ist das mit farbigen Strichen gezeichnete, in vielen Facetten des Erotischen schillernde Karnevalstreiben im alten Florenz, da ist der mit bösem Sarkasmus porträtierte Auftritt des alten Papstes als eines im rollenden Thronbett von zwei ihn tänzelnd umsorgenden barbusigen Nonnen hereingeschobenen Lustgreises, da ist der zunächst auf einer von Büßern gezogenen Kanzel predigende, dann ans Kreuz geschlagene Savonarola, und da sind – im Finale – die affengesichtigen Choristen mit ihrem doppeisinnigen «Memento mori»-Gesang. Mit solchen Visionen einer in vielen Brechungen verfremdeten Realität gelingt Woron ein eindringliches optisches Pendant zu Kirchners Komposition, das viel zur nachdrücklichen Wirkung des Werkes beiträgt.

Aber auch die musikalische Realisierung hatte beachtliches Niveau. Chor und Orchester setzten unter der Leitung von Georg Fritzsch markante Akzente. Unter den Solisten taten sich besonders Jörg Sabrowski hervor als persönlichkeitsstarker Girolamo Savonarola und Marek Wojciechowski als Michelangelo Buonarotti mit der tiefsinnigen (und stimmlich tief liegenden) Apologie der Kunst als Ausdruck der Wahrheit, nicht des äußeren Scheins.

Als wenig glücklich dagegen erwies sich die Idee, die nicht abendfüllende Oper durch eine vorangestellte Choreografie auf Kirchners orchestrale «Ghetto»-Trilogie zu komplettieren. Das Grauen des KZs in eine durch das moderne Tanztheater geprägte ästhetische Form bannen zu wollen, ist ganz einfach ein Ding der Unmöglichkeit. Hier müsste für weitere Produktionen des «Savonarola» nach einem besser geeigneten Gegenüber gesucht werden Gerhart Asche

Kirchner: Savonarola.
Uraufführung am 30. April 2011,
Musikalische Leitung: Georg Fritzsch, Inszenierung und Ausstattung: Anrej Woron,
Choreografie: Lars Scheibner, Chor: David Maiwald, Solisten: Jörg Sabrowski (Savonarola), Fred Hoffmann (Piero de Medici), Petros Magoulas (Bruder Mariano), Marek Wojciechowski (Papst Alexander, Michelangelo), Michael Müller (Pasquale), Marina Fideli (Fiona/Mezzosopran) u. a.